Eines gleich vorweg: Mehr geht immer. Es gibt ausgefeilte Systeme, denen ganze Bücher gewidmet sind, wie zum „How to Read a Book“ von Adler und Van Doren. Ich habe einige ausprobiert und nicht durchgehalten. Was ich hier beschreibe, ist ein System, das sich in meinem Alltagsgebrauch herausgebildet hat. Damit verstehe ich besser und behalte mehr als beim klassischen Lesen von Anfang bis Ende. Schneller geht es auch – völlig ohne Speedreading.
1. Verschaff dir einen Überblick über das Buch, noch vor der Kaufentscheidung – und lies es im Zweifelsfall nicht
Nicht Schnelllesen ist der effizienteste Zugang zu Gedrucktem, sondern ein schlechtes Buch gar nicht zu lesen. 5 Minuten im Vorfeld können 10 Stunden gewonnene Lebenszeit bedeuten. Mehr als diese paar Minuten brauchst du nicht, um Klappentext, Inhaltsangabe und kurze Passagen einiger Kapitel anzugucken. Das funktioniert auch im Netz. Die meisten Internet-Buchhändler haben Funktionen wie „Blick ins Buch“ oder „Leseprobe“, die das ermöglichen. Auch die eine oder andere Rezension im Netz kann weiter helfen. Mit Glück hat sich jemand die Mühe gemacht und schon eine Zusammenfassung gepostet. Mit diesen Informationen kannst du die Entscheidung treffen: Ist das Buch meine Lebenszeit wert oder nicht? Eine niedrige Konversionsrate ist kein Nachteil. Es gibt viele gute Bücher – aber noch mehr flache, schnell zusammengeschusterte, mit reißerischen Titeln. Wie schade, Zeit mit sowas zu verplempern.
2. Eröffne ein Begleitdokument
So heißt das zumindest bei mir. Wenn ich mich ernsthaft mit einem Buch beschäftigen will, dann brauche ich einen Ort dafür. In dieses Begleitdokument kommt alles, was das Buch betrifft: markierte Passagen, Zitate, kurze Zusammenfassungen in eigenen Worten, kleine Skizzen, persönliche Assoziationen und Erkenntnisse. Bei vielen E-Book-Readern gibt es die Möglichkeit, markierte Passagen mitsamt persönlichen Notizen als Text zu exportieren. Mir ist diese Funktion so viel wert, dass ich fast nur mehr auf E-Book-Readern bzw den entsprechenden Apps lese. Das Begleitdokument ist später ein schneller Weg, den Buchinhalt wieder aufzufrischen.
3. Optionaler Schritt: Lern das Inhaltsverzeichnis auswendig
In 20% aller Fälle lerne ich das Inhaltsverzeichnis auswendig. Das klingt vielleicht nach einer spleenigen Beschäftigung für Leute, die sonst keine Hobbys haben. Mir hilft es enorm bei der Orientierung in einem Buch. Ich tendiere dazu, den Überblick zu verlieren und mich in Details zu verheddern. Gerade wenn die Autorin eine gute Erzählerin ist, erinnere ich mich später an die Anekdoten, aber nicht mehr an den Zusammenhang. Mit dem Inhaltsverzeichnis habe ich eine Art Navi im Kopf, das mich orientiert hält. Ich kann rauszoomen und den Kontext sehen und reinzoomen und behalte den Überblick.
4. Konzentrier dich auf Überschriften, Bilder, Grafiken, Zusammenfassungen
Ein klassischer Tipp, der immer wieder überraschend gut funktioniert. Überschriften, Bilder, Diagramme etc. haben eine hohe Informationsdichte. In vielen Büchern gibt es an jedem Kapitelende eine Zusammenfassung. Das ist Service! Ohne den Fließtext gelesen zu haben, hast du auf diese Art meist schon 80% des Buch-Inhalts zusammen. Bei einem Sachbuch reicht das oft schon.
5. Optionaler Schritt: den Fließtext lesen
Wenn die Autorin spritzig formuliert oder einprägsame Beispiele verwendet, lohnt sich natürlich der Fließtext. Hier gibt es ein Spektrum an Möglichkeiten. Wer sagt, dass du alles lesen musst?
- Eine Mischung aus Querlesen und „klassisch“ lesen. Mich fasziniert immer wieder, wieviel aus dem Augenwinkel erkannt wird. Interessante Stellen ziehen den Blick magnetisch an.
- Eine Auswahl lesen. Manchmal bist du mit einer bestimmten Fragestellung an ein Buch heran gegangen und dann ist nicht jedes Kapitel gleich wichtig.
- Wenn du Lust drauf hast – ganz old school das Buch von vorne bis hinten lesen.
6. Lies die besten Bücher mindestens ein zweites Mal
Hört sich zwar wie ein Widerspruch zur Effektivität-versprechenden Überschrift an, ist aber eine der wirksamsten Maßnahmen überhaupt. Ich mache das nicht bei vielen Büchern, vielleicht bei drei im Jahr. Immer, wenn ich es tue, bin ich verblüfft, wieviel mehr ich beim zweiten Mal entdecke und verstehe. In Zahlen ausgedrückt würde ich sagen, 2x Lesen, 5x so viel mitnehmen. Jetzt kannst du sagen na klar, wenn du vorher nur die Überschriften gelesen hast, dann ist natürlich ein zweites, womöglich vollständiges Lesen eine Offenbarung. Ich mache das nur bei Büchern, die ich schon beim ersten Mal ziemlich vollständig gelesen habe. Mein Bild dazu ist, dass sich beim ersten Mal Lesen das Gedankengebäude der Autorin Kapitel für Kapitel aufbaut. Beim zweiten Mal habe ich dann schon eine Vorstellung, wie das Gebäude insgesamt aussieht, wie die Struktur ist, worauf sie hinaus will und damit wird der Inhalt auf ganz andere Weise verständlich.