Die besten Strategien um Neues zu lernen, wenn du älter als 25 bist

Lernfrust ist ein guter Anfang

Monatelang habe ich mich auf der Gitarre mit einem Griff abgequält. Er wollte einfach nicht klingen. Seit drei Tagen geht es aufwärts, und das habe ich dem Podcast „Huberman Lab“ zu verdanken. Dort werden aktuelle neurobiologische Forschungsergebnisse für den Alltag aufbereitet. In den Episoden „Learning Skills faster“ und „Learn faster“ pulverisiert der Standford Forscher Andrew Huberman ein paar pädagogische Gewissheiten und empfiehlt haarsträubende Alternativen. Einige habe ich in der letzten Woche ausprobiert und kann jetzt schon sagen: Funktioniert! Der Mann weiß, wovon er spricht.

Warum brauchen Erwachsene andere Strategien?

Als Kinder sind wir Lermaschinen. Zwei Sprachen parallel und akzentfrei lernen – kein Problem, wenn du das Glück hast, Eltern mit verschiedenen Muttersprachen zu haben. Leider geht das nicht ewig so weiter. Ab dem Alter von 25, plus minus ein zwei Jahre, verfestigen sich die Verbindungen zwischen den Nervenzellen. Wo früher eine Erfahrung gereicht hat, um etwas Neues zu integrieren, tun’s jetzt 10 nicht mehr. Lernen wird in der Regel mühsamer und langsamer. Es sei denn, du stellst dich auf die Gegebenheiten ein.

Einige Lernstrategien, die bei 25+ funktionieren

  • Frust auskosten und dranbleiben
  • So viele Wiederholungen wie geht
  • Nicht zu viele Aspekte auf einmal
  • Kürzere Lerneinheiten
  • Pausen
  • Gut schlafen
  • Balance

Fehler und Frustrationserlebnisse bewusst herbeiführen

Ärger über Fehler versetzt das Gehirn in einen lernbereiten Zustand. Das war eine der größten Überraschungen für mich. Als 6-jähriger wollte ich meine neuen Schi in den Fluss werfen, weil ich es bei den ersten Versuchen nicht sturzfrei den Hang hinunter schaffte. Als Erwachsener habe ich mich dann bemüht, Lernsituationen so leicht und angenehm zu gestalten wie möglich, weil ich dachte, negative Emotionen würden stören. Genau verkehrt. Bei Frust wird eine Chemikalie ausgeschüttet, Epinephrin, und die signalisiert dem Gehirn: hier läuft etwas schief, hier muss etwas geändert werden. Wer in dem Moment hinschmeißt, „weil es eh keinen Sinn hat“, wählt laut Huberman die schlechteste Reaktion. Das jetzt lernbereite Gehirn speichert dann etwas ganz Unerwünschtes ab: „Ich krieg das nicht hin, ich werde es nie lernen.“ Was ist also eine produktivere Reaktion?

Wiederholungen

Dranbleiben und so oft wiederholen wie möglich, auch wenn z.B. beim Gitarreüben der Griff erbärmlich scheppert. Das scheint erst mal völlig unverständlich. Was soll das bringen? Einen Fehler 100x wiederholen? Prägt sich da nicht das Falsche ein? Keine Gefahr, so lange man das Lernprotokoll weiter befolgt. Denn was jetzt passiert: sobald das Gehirn durch den Frust des wiederholten Scheiterns lernbereit ist, holt es den Textmarker (Acetylcholin, wer’s wissen will) raus und markiert die Nervenverbindungen, die in der Frustphase aktiv sind. Die Message: hier muss umgebaut werden.

Wie lange musst du den Frust aushalten?

Wenn’s geht mehrere Minuten lang. 7 bis 30 Minuten sind die Zeiträume, die Huberman nennt, damit das Gehirn in Epinephrin schwimmt. Wobei es natürlich davon abhängt, was du lernen willst. Vokabeln oder Passagen auf einem Instrument kannst du leichter wiederholen als 300 kg heben. Das Wiederholen gilt nicht für Dinge, bei denen du dich verletzen oder sonstwie schädigen kannst.

Intensive Beschäftigung mit einem Aspekt  – nur mit einem

Als nächstes beschäftigst du dich intensiver mit dem Nicht-Funktionierenden. Aber nicht mit 10 Aspekten auf einmal, sondern du suchst dir einen raus. Beim Gitarrelernen arbeitest du z.B. mit einem Finger, der nicht an der richtigen Stelle drückt. Wann klingt der Ton ein bisschen besser? Hier ist Zeit fürs Herumprobieren oder fürs Ausprobieren praktischen Tipps. Ein kleiner positiver Unterschied liefert schon Futter für den Lernprozess. Wenn du von hundert Versuchen drei dabei hast, die halbwegs funktionieren, dann löst das schon einen Dopamin-Schub aus. Dieses Belohnungs-Hormon gibt dem Nervensystem den Hinweis: hier gehts lang.

Kleinere Lerneinheiten

Für 25+ gilt: nicht zu viel auf einmal. Das geht in zwei Richtungen.

  • Einmal ist es gut, den Lernstoff in kleinere Schritte zerlegen. Jüngere können große Schritte auf einmal machen. Mit 25+ ist es besser, wenn du im wahrsten Sinne kürzer trittst. Insgesamt kannst du genau so weit kommen, aber mit mehreren kleineren Zwischenschritten. Um auf die Gitarre zurückzukommen: es bringt mehr, sich mit einem Finger zu beschäftigen, als sich einen komplexen Barree-Griff auf einmal draufschaffen zu wollen.
  • Und zweitens: kürzere Lerneinheiten. Wenn du merkst, die Konzentration lässt nach, dann ist es besser, aufzuhören. Das kann nach 20 bis 30 Minuten sein. Und auch wenn du superfokussiert arbeiten kannst – spätestens nach 90 Minuten ist eine Pause fällig.

Pausen

Nach dem Lernen ist das Wichtigste: Nichts tun. Pause machen. Augen zu, dich zurücklehnen oder sogar hinlegen. Und wirklich nichts tun. Nicht aufs Handy gucken. Kein Gespräch anfangen. Einfach 1 bis 10 Minuten Pause und die Gedanken schweifen lassen. In dieser Zeit spielt das Gehirn unterhalb der Bewusstseinsschwelle den Bewegungsablauf immer wieder ab. Je weniger es dabei durch bewusste Aktionen gestört wird, desto besser. Das war mein zweiter großer Fehler neben dem Vermeiden von Frust. Nach einer Sache habe ich sofort mit der nächsten begonnen. Wenn du so erfolgreich pausierst, dass du dabei einschläfst – super!

Schlafen

Der eigentliche Umbau der neuronalen Verbindungen passiert dann im Nachtschlaf. In der Folgenacht und auch noch in den nächsten Nächten spielt das Gehirn die neu gelernten Abläufe immer wieder durch. Wenn du dann nach einem Tag oder nach einigen Tagen das gleiche wieder probierst, funktioniert es mit hoher Wahrscheinlichkeit „von selbst“ um einiges besser.

Der Turbo: den Frust lieben

Wer verinnerlicht, dass Frusterlebnisse ein wesentlicher Schritt auf dem Weg zum Lernen sind und sich darüber freut, kriegt neben dem Frust-Epinephrin auch eine Extra Dopamin-Ausschüttung. Dann geht das Lernen so richtig ab. Das klingt zwar ein bisschen schizo – Freude und Frust gleichzeitig erleben – aber es funktioniert. Das habe ich bei meinen Experimenten in den letzten Tagen schon erlebt: einerseits den Frust, dass mir bei einem Griffwechsel noch immer ein Finger von der Saite rutscht und gleichzeitig die Freude, dass ich jetzt „in the Zone“ komme

Skizze einer Lerneinheit

  • Frustphase – du tust, was du lernen willst, aber noch nicht kannst, und du tust es oft – so viele Wiederholungen, wie du schaffst
  • Gründliche Beschäftigung mit einem Detail der Sache – auf Unterschiede achten. Wenn du es zumindest vereinzelt ein bisschen besser machen kannst als vorher, reicht das.
  • Pause
  • Und wenn deine Schlafenszeit naht: Gute Nacht. Um den Rest kümmert sich die Natur

Bonusmaterial – Balance

Etwas, das unser Gehirn schlagartig in Lernbereitschaft versetzt, ist der Verlust des Gleichgewichts. Vor einer Lerneinheit mit geschlossenen Augen auf einem Bein stehen oder fünf Minuten Kopf- oder Handstand probieren, kann Wunder wirken. Vorausgesetzt, man muss ums Gleichgewicht ringen und fällt gelegentlich um. Wer schon sicher auf den Händen herumspaziert, hat nichts mehr davon und muss sich steilere Herausforderungen suchen.

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