Building a Second Brain – Machen statt Merken

Ein Tisch voller Tagebücher
Blick in den Info-Sumpf. Was hier gelandet ist, taucht so schnell nicht wieder auf

Im Buch „Building a Second Brain“ von Tiago Forte geht es um einen entspannten Umgang mit der Informationsflut. Unser armes Hirn ist nicht dafür gemacht, in Gigabyte an Daten zu waten und den Überblick zu behalten. Es soll entlastet werden. Informationen und Ideen wandern zu diesem Zweck in ein externes „Zweites Gehirn“ und zwar so, dass man sie auch findet, wenn man sie braucht.

Wer braucht einen Second Brain?

Alle, die Informationen aufnehmen, verarbeiten und etwas damit machen wollen. Bloggen ist ein gutes Beispiel dafür, wie auch jede andere Art von Wissensarbeit. Aber im Prinzip gibt es heute kaum noch Tätigkeiten, bei denen das nicht der Fall ist. Also eigentlich alle.

Wofür soll ein Second Brain gut sein?

An jedem Tag stoßen wir auf Dutzende brauchbare Informationen. Bücher, Zeitschriften, Blogs, Podcasts, Emails – sie alle enthalten Fakten, Tipps, Anregungen und Zitate, die uns potenziell das Leben erleichtern. Dazu kommen eigene Einsichten, Erkenntnisse, Ideen unter der Dusche oder bei einem Gespräch. „Das muss ich mir merken.“ oder „Tolle Idee. Das mache ich!“ sind oft die ersten Reaktionen. Aber kurze Zeit später ist meist alles wieder vergessen. Übrig bleibt das Gefühl, dass da etwas war. Aber was?

Ein „Second Brain“ kann genau dieses Problem lösen. Eine Notizapp und ein paar alltagskompatible Praktiken – mehr braucht es nicht für ein System, mit dem wir alles, was uns wichtig ist, im richtigen Moment auch wieder finden. Schön an Fortes Ansatz ist, dass er kein Missionar für teure Technik ist. An Technologie reicht meist, was auf einem Smartphone schon vorinstalliert ist. Wer mehr will, kann sich auf der Ressourcen-Website zum Buch inspirieren lassen. Ziel ist, dass der Kopf frei wird, um das zu tun, was er am besten kann: auf Ideen kommen, kombinieren, allein oder mit anderen etwas Schönes schaffen.

Wie funktioniert ein Second Brain?

Tiago Forte hat vier Schritte entwickelt, die er mit C.O.D.E. abkürzt – die Buchstaben stehen für Capture (Festhalten) – Organisieren – Destillieren – Express (Ausdrücken, Handeln, Etwas tun).

Festhalten, was mich berührt

Im ersten Schritt geht es nur darum, eine Idee festzuhalten, egal aus welcher Quelle. Ob eine Info von außen oder eine Eingebung von innen. Hauptkriterium ist Resonanz – Was fällt mir auf, was spricht mich an, was berührt mich? All das wandert in die Notizen-App. Es geht nicht darum, so viele Informationen wie möglich zu hamstern, weil ja alles „irgendwann zu irgendwas“ nützlich sein kann, sondern von Anfang an eine Sammlung aufzubauen, die die eigenen Bedürfnisse und Interessen bedient.

Auf Verwendung hin organisieren

Wenn eine Idee einmal festgehalten ist, läuft sie nicht mehr weg. Eine Notiz kann wie ein Hefeteig eine Zeitlang ruhen. Beim zweiten Mal hinsehen sind viele Sachen doch nicht so spannend, dann fliegen sie wieder raus. An den Rest geht .die große Frage: Wofür brauche ich das? Notizen werden dorthin gepackt, wo sie am schnellsten gebraucht werden. Und nicht dorthin, wo sie her kommen. Also Ciao Ordner „Bücher“ oder „Podcasts“. Idealer Platz ist ein aktuelles Projekt, wie z.B. ein Blogartikel im Entstehen oder ein anderes Vorhaben. Falls das nicht geht, dann in ein Interessens- oder Aufgabengebiet.

Notizen entdeckbar machen

Eine Information muss schnell auffindbar sind, um hilfreich zu sein. Was nützt eine gute Idee, wenn sie irgendwo in einer 20-seitigen PDF steht? Oder ein pointierter Spruch mitten in einem Podcast? Deswegen braucht eine gute Notiz zwei Elemente: einen prägnanten Titel und eine Zusammenfassung der wichtigsten Punkte. Der Weg dorthin führt über „Progressive Summarization“, was man sinngemäß mit „fortschreitender Verdichtung“ übersetzen könnte. In der Praxis ist es „Highlighting on Steroids“ wie ein Youtuber das nennt. Wenn ich die saftigsten Passagen aus einem Fachartikel in meine Notiz kopiert habe, markiere ich darin die wichtigsten Teile. Und davon dann die allerwichtigsten. Wenn es mir wirklich wichtig erscheint, kann ich noch ein Fazit in eigenen Worten anfügen. Ziel ist, dass ich eine Notiz in 30 Sekunden überfliegen kann und weiß, worum es geht. Und nicht rätsle, was ich mir damals wohl gedacht habe, als ich das notierte.

Optimierung auf Anwendung

Der Fokus des ganzen Systems liegt auf Produktivität. Wobei das weit gefasst ist. Produktiv sein kann heißen: einen Blogartikel schreiben, eine Mail verfassen oder Freunden ein paar Infos zukommen lassen. Je schneller ich finde, was ich brauche, desto besser kann ich damit arbeiten.

Was ich daraus gelernt habe

Vieles in dem Buch von Tiago Forte ist nicht brandneu. Er hat sogar einen etwas drögen Schreibstil und manche seiner persönlichen Stories hätte ich nicht gebraucht. Aber sein Blickwinkel führt zu überraschenden Schlussfolgerungen und viele Details wirken durchdacht und erprobt. Ich fand das Gesamtpaket so überzeugend, dass ich seit Erwerb des Buches meinen Umgang mit Informationen und eigenen Ideen umzukremple.

Wofür statt Woher

Das Verfahren, beim Abspeichern ans „Wofür“ zu denken und weniger ans „Woher“ hat mir ein Aha beschert. Denn ich habe bisher natürlich nach Herkunft sortiert. Auf meiner Festplatte gibt es einen Ordner für „Bücher“ und einen für „Podcasts“. Der schlimmste von allen heißt „Artikel, Blogs, Essays, Podcasts“. Willkommen im Informationssumpf! Allen Ordnern ist gemeinsam, dass viel Lebenszeit drin steckt und ich so gut wie nie rein schaue. Derart nichtssagende Namen helfen nicht, wenn ich schnell Material oder Ideen für ein bestimmtes Projekt brauche. Neues sortiere ich jetzt nach Wofür und vielleicht betätige ich mich noch als Daten-Archäologe.

Ideen und Gedanken sind keine Wegwerfartikel

Ein interessanter Aspekt an Tiago Fortes Buch ist, dass er Konzepte aus der Industrie auf Wissensarbeit anwendet. Eines dieser Prinzipien ist die Vermeidung von Verschwendung. Aufmerksamkeit ist ein knappes Gut. Wir investieren viel in die Aufnahme von Informationen, in Bücher, Blogs, Podcasts, Videos, Dokus und interessante Gespräche. Wir feilen an Emails und Texten, an Präsentationen und Berichten. Wie schade, wenn wir all das nur einmal nutzen und jedes Mal neu bei Null anfangen, weil wir die Ergebnisse vergangener Bemühungen nicht mehr präsent haben. „Building a Second Brain“ fußt auf Hochachtung vor der eigenen geistigen Leistung. Gedanken sollen nicht wie Einwegtaschentücher nach Gebrauch weggeworfen werfen. Gu gelagert können sie wieder verwendet und neu kombiniert werden.

Die zeitliche Trennung der Schritte

Ein Zauberwort bei Forte ist „Reibung vermindern“. Durch die zeitliche Trennung der einzelnen Arbeitsschritte wird die Schwelle zur tatsächlichen Anwendung niedriger. Erst mal sammeln, dann später – mit Abstand – überlegen was ich damit tue. Und nur wenn ich etwas wirklich brauche, destilliere ich. Das funktioniert.

Software

Im Zuge der Lektüre habe ich entdeckt, wieviel die Notiz-App auf meinem Mobiltelefon drauf hat. Ich hatte keine Ahnung, wie die in den letzten Jahren aufgebohrt wurde. Weil so viel Power drin steckt, wird das Organisieren von Information zu einer entspannten Angelegenheit. Es ist fast schon egal, wo ich was hinpacke. Die Suchfunktion, kombiniert mit Tags, findet praktisch alles.
Und ich gestehe: zwei Tage nach Erwerb des Buches habe ich mir die Software Obsidian heruntergeladen, die noch einmal andere Funktionen bietet  … Bericht folgt

 

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